von Tony Menzel
Plattform: PC, PS3, XBox360
Release: 2013
Entwickler: Irrational Games
Publisher: 2K Games
BioShock war 2007 eines der angepriesensten und meist diskutierten Spiele und für viele sogar der Grund, endlich auf die, damals neue, Konsolengeneration aufzuspringen. Der geistige Nachfolger von
System Shock 2, konnte vor allem durch sein einzigartiges Unterwasser Setting und ikonische Gestalten, wie den Big Daddy, punkten. Teil 2 wurde an ein anderes Team übergeben und war im wesentlichen "nur" mehr vom Gleichen, während das Originalteam, unter Ken Levine, schon an etwas viel Größerem dran war: eine Stadt in den Wolken. Bioshock Infinite, der 3. Teil der Reihe, geistert seit der ersten Ankündigung durch die Köpfe von Spielern und Presse. So etwas hatte man noch nie zuvor gesehen.
Columbia - So weiß wie die Wolken
Bioshock Infinite erhebt sich aus den Tiefen des Ozeans und transportiert uns in die Himmelsstadt Columbia im Jahr 1912 (fast 50 Jahre vor den Geschehnissen der Vorgänger). Bevor wir dort hinkommen, gibt es direkt ein typisches Bioshock Motiv: Hauptfigur Booker DeWitt muss einen Leuchtturm betreten, um seine Reise zu beginnen.
Bioshock ist eines dieser Spiele, bei denen man nicht zu sehr auf die Geschichte eingehen kann, ohne eventuelle Spoiler zu riskieren. Diese Geschichte ist nämlich der stärkste Aspekt des Spiels und wer sich voll auf die Welt einlässt, wird bald anfangen zu rätseln, was hinter den Geschehnissen stecken könnte, was bestimmte Symbole zu bedeuten haben und welche Rolle bestimmte Charaktere dabei spielen. Die Entwickler schrecken nicht davor zurück, die Köpfe der Spieler anzustrengen und mehrere Ebenen anzubieten, mit Begebenheiten, die über die üblichen Klischees hinausgehen. So vage das auch klingt, ich garantiere euch, dass ihr es selbst erleben wollt!
Was wir zu Anfang vorfinden ist das Bild eines idealisierten Amerikas der 20er Jahre, mit schöner Musik, Jahrmärkten, Zuckerwatte und einer ordentlichen Portion Rassismus, gegen alles, das nicht dem weißen Idealbild entspricht. Columbia ist wunderschön, sehr detailreich und an jeder Ecke führen die Menschen Gespräche. Nur schade, dass wir uns nicht an diesen Gesprächen beteiligen können.
Booker ist übrigens der erste Bioshock Protagonist, der sich während des Spieles selbst zu Wort meldet. Ich begrüße diese Änderung, denn während Ego Shooter sonst nicht gerade mein Lieblingsgenre sind (immer nur die Hand meines Helden zu sehen ist etwas langweilig...), fühle ich hier eine Identifikation mit den Figuren, die ich sonst nur in Third Person Spielen bekomme.
Fast Food mit viel Salz
Die ersten 1-2 Stunden des Spiels ist Booker allein unterwegs, erkundet die Stadt und muss erste Kämpfe ausfechten. Das Kampfsystem entspricht dem Standard moderner Shooter, wird durch verschiedene Kräfte, vergleichbar mit den Plasmiden, aber etwas vielseitiger. Sie befinden sich in kleinen Fläschchen, für ihren Einsatz sind Salze (vergleichbar mit Magie, Mana oder EVE) nötig. Besonders einige der späteren Fähigkeiten können den Ausgang eines Kampfes stark beeinflussen. Dazu kommt eine Vielzahl von Ausrüstungsgegenständen, die Einfluss auf die Fähigkeiten, Nahkampf, Schusswaffen oder die Effektivität von Heilobjekten nehmen können. Da diese allerdings in jedem Spiel zufällig verteilt sind, kann es passieren, dass ein Spieler einen Ausrüstungsgegenstand nie zu sehen bekommt, weil sie in seinem Spiel ganz einfach nicht existieren.
In Infinite können wir nur noch zwei Waffen gleichzeitig mit uns tragen, außerdem wird komplett auf ein Inventar verzichtet. Jede Mahlzeit, jedes Getränk, alles wird sofort verwendet. Als Ausgleich bekommt Booker einen Schild, der selbst mit Upgrades nicht viel aushält, nach kurzer Zeit aber wieder aufgeladen wird. Ob man nun einen Vorrat an Verbandskästen oder den Schild bevorzugt, muss jeder selbst wissen. Mir gefallen beide Varianten, ob ich nun in Deckung gehen muss, um meinen Schild aufzuladen, oder ständig den Finger auf dem Heilbutton habe. Gerade die Tatsache, dass Infinite viele Unterschiede bietet, macht es so erfrischend, lässt die Vorgänger aber gleichzeitig kein Stück altern.
Bald gesellt sich dann Elizabeth zu uns, die, wie uns das Spiel sofort mitteilt, nicht beschützt werden muss, Booker aber im Kampf mit Munition und Gesundheit unterstützt. Im späteren Verlauf lernt sie außerdem Risse zu öffnen, die verschiedene Sachen in der Welt erscheinen lassen, wie Geschütze, Deckungen oder Vorratskisten. Ich musste sofort an eine spätere Fähigkeit in
Alan Wake denken, mit dem Unterschied, dass Elizabeth immer nur einen Riss zur gleichen Zeit öffnen kann. Die Begleiterin ist nicht nur im Kampf eine Bereicherung sondern führt ständig interessante Gespräche mit Booker und verhält sich kontextsensitiv zur Umgebung, statt ständig nur hinter uns zu stehen. Schlösser und Tresore knacken kann sie übrigens auch. Minispiele u.ä. fallen in diesem Spiel weg.
Captain Sky Hook
Das interessanteste und stärkste Gameplay Element kommt mit dem Sky Hook. Der ist nicht nur nützlich um blutige Nahkämpfte zu führen, sondern ermöglicht uns auf magnetische Weise die Nutzung der Skylines, die uns, wie eine Achterbahnfahrt, von Ort zu Ort bringen. Auch im Kampf können sie extrem nützlich sein, werden aber viel zu selten von der KI genutzt. Schön wäre es, würden die Skylines die Welt etwas für uns öffnen, stattdessen sind wir die meiste Zeit in sehr geradlinigen Gebieten unterwegs. Nichtsdestotrotz gibt es nur wenige Sachen, die so befriedigen sind, wie mit einer Skyline aus einem Kampf zu entkommen oder einem ahnungslosen Gegner auf den Kopf zu springen. Die perfekte Kontrolle über diese Bewegungsart kann zwischen Leben und Tod entscheiden. Insgesamt machen die Kämpfe viel Spaß und werden nur selten langweilig. Die Gegnerwellen könnten zwar kleiner sein, die Vielfalt der Gegner (wir bekommen es nicht nur mit Menschen zu tun) gleicht das aber wieder aus. Trotzdem ist es schade, dass das Oldschool Shooter Gefühl früherer Ken Levine Spiele verloren gegangen zu sein scheint.
Alles Gut, außer Loot
Kommen wir zu meinem größten Kritikpunkt an Bioshock Infinite: das Loot. Egal wo wir unterwegs sind, überall liegen hunderte Objekte zum Sammeln. Alles ist voll mit einzelnen Münzen, mit Flaschen, Essen, Kisten, Schränken usw. Wozu eigentlich, ohne Inventar? Außerhalb von Kämpfen werden weder Gesundheit, noch Salze jemals knapp. Öffnen wir einen Schrank oder eine Kiste, haben wir nur die Möglichkeit, sämtliche Objekte zu nehmen. Das kann auch mal verheerend sein, denn während z.B. Zigaretten der Gesundheit schaden, senkt Alkohol die Salze. Klar könnte man alles ignorieren, aber es besteht die ständige Gefahr, einen Ausrüstungsgegenstand oder Logpick (zum Öffnen optionaler Türen und Tresore) zu übersehen. Das Loot ist so störend, dass es sogar stellenweise von der schönen Welt, um uns herum, ablenkt.
Etwas weniger wäre hier mehr gewesen. Außerdem tauchen die verschiedenen Verkaufsautomaten viel zu oft auf, als hätte man alle 2 Minuten das Bedürfnis, etwas neues zu kaufen (vor allem ohne Inventar).
Man bekommt den Eindruck, dass Bioshock Infinite, obwohl die RPG Elemente eingeschränkt wurden, umso mehr versucht, ein RPG zu sein. Insgesamt wurde die Komplexität und die Möglichkeit, den eigenen Charakter anzupassen, stark zurückgeschraubt. Das versaut zwar nicht den Spielspaß, wäre aber keinesfalls nötig gewesen. Ich akzeptiere es, als Teil seiner Identität als primärer "Storyshooter".
Fazit: Bioshock Infinite ist mehr als nur Bioshock in einem neuen Setting. Das Spielgefühl wurde stark verändert, aber keinesfalls zum schlechten. Während einige die Tatsache bemängeln, dass es keine Evolution zu den Vorgängern darstellt, begrüße ich lieber seine Andersartigkeit. Wer sich auf Bioshock Infinite einlässt, bekommt zwar nur einen durchschnittlichen Shooter, dafür aber eine der besten Spielegeschichten, die ich je erlebt habe, rund um Religion, Politik und Vergebung.
Sollte der Nachfolger dann wieder etwas mehr Tiefgang, mehr Backtracking und Offenheit bieten, würde ich mich keinesfalls beschweren. So bleibt Bioshock Infinite zwar ein geradliniges Erlebnis, dafür aber ein einzigartiges, das man nicht verpassen sollte.