von Tony Menzel
Plattform: PC, PS3, Xbox360
Release: 2012
Entwickler: Telltale Games
Es wird mir wohl keiner widersprechen, wenn ich sagen, dass The Walking Dead der größte Überraschungshit 2012 sein dürfte. Damit meine ich weder Comic, noch Serie sondern das 5-teilige Adventure aus dem Hause Telltale. Vor etwa einem halben Jahr erschien Episode 1 für Playstation Store, XBox Live und Steam, gefolgt von Episode 2-5 in monatlichen oder zweimonatlichen Abständen. Nun wurde die erste Staffel abgeschlossen und es wird höchste Zeit, ein Fazit zu ziehen.
The Walking Dead ist aus so vielen Gründen ein Überraschungshit. Schon in der Vergangenheit lieferte Telltale gute Arbeit im Adventure-Bereich ab, mit Spielen wie Sam&Max oder Back to the Future, die ebenfalls im Episodenformat erschienen. Dass sie ein potentiellen Spiel des Jahres abliefern würden, damit hätte wohl keiner gerechnet. Das Zombie Adventure besticht durch eine, für Spiele eher seltene, Erzählstruktur, ausgefeilte Charaktere und unglaublich cineastische Momente, die so manches Mal sogar Heavy Rain und Uncharted Konkurrenz machen. Dabei bleibt das Spiel aber stets minimalistisch: es geht nicht darum die Welt zu retten, sondern um eine kleine Gruppe von Menschen, die einfach nur versucht zu überleben. Ganz wie im Vorbild.
Die Geschichte findet parallel zu den Ereignissen von Comic und TV Serie statt. Hier und da bekommen Charaktere Gastauftritte, aber im Wesentlichen ist die Geschichte des Spieles komplett unabhängig. Hautpfigur ist der Geschichtslehrer Lee Everett, der gerade auf dem Rücksitz eines Polizeiwagen unterwegs ist, als ein vermeintlicher Unfall Fahrer, Passagier und Fahrzeug von der Strecke abbringt. Gefolgt von Zombies gelingt Lee die Flucht in ein nahe stehendes Wohnhaus, wo er auf die Kleine Clementine trifft. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Ich hatte schon immer eine Schwäche für Spiele, die im TV Serien Stil erzählt werden. Jede der 5 "Folgen" dauert etwa 2 Stunden und führt an verschiedene Orte und in verschiedene Situationen, die spannender kaum sein könnten. Am Anfang jeder Folge gibt es einen Rückblick auf das was bisher geschah, am Ende der Episoden eine kleine Vorschau, Cliffhanger natürlich inbegriffen. Das ganze Konzept hätte man kaum besser umsetzen können, vor allem als Versoftung einer TV Serie.
Die Grafik dagegen erinnert eher an einen Comic. Charaktere und Landschaften sind wunderschön gezeichnet. Gerade die großen Augen und übertriebenen Mimiken der Personen erschienen mir zu Anfang doch sehr unpassend. Auch das Design der Zombies ist eher eine Mischung aus widerlichen Gruselzombies und den grünen Maskottchen auf T-Shirts und Schlüsselanhängern. Schnell merkt man aber, dass die Grafik der Atmosphäre nicht im Wege steht und vor allem der Gewalt.
Denn The Walking Dead ist ziemlich blutig und nicht selten muss man Gräueltaten mit eigener Hand ausführen. Wäre die Grafik realistischer gewesen, hätte das wohl große Diskussionen ausgelöst.
Es ist ganz klar was hier gezeigt wird: eine düstere Welt ohne Hoffnung in der nicht nur ein Zombie, sondern auch der Mensch neben dir und eigentlich absolut alles dein größter Feind sein kann.
Das Gameplay wurde interessant gestaltet. In kleinen, eher anspruchslosen Adventure-Passagen, bewegt man Lee mit dem Linken Stick durch kleine abgegrenzte Bereiche. An Stelle der klassischen Adventure-Maus hat man einen Cursor, den man jederzeit mit dem Rechten Stick bewegen kann. Der Cursor hat 4 Seiten die für je eine Taste auf dem Controller stehen und verschiedene Aktionen, je nach Situation auslösen.
Zum Beispiel kommt ein Zombie mit einem Mordsmäßigen Tempo auf uns zu, neben uns liegt ein Messer. Mit dem Linken Stick versuchen wir nach hinten zu entkommen, während wir mit dem Cursor das Messer aufsammeln müssen. Danach richten wir den Cursor auf den Zombie und lösen mit der X-Taste einen Messerstich aus. Oft folgt daraufhin ein Quick Time Event.
Dieses Kontrollschema eignet sich nahezu perfekt für sowohl ruhige Passagen, als auch hektische Momente. Es verbindet die besten Eigenschaften eines klassischen Adventures und Heavy Rain.
Auch Schusswaffen werden auf die gleiche Art bedient, präzises Zielen ist nicht nötig, solange der Cursor über dem Zielobjekt ist.
Wirkliche Rätsel gibt es in The Walking Dead nicht, nur kleinere Momente in denen wir herausfinden müssen, wie wir vorankommen und in denen wir Gelegenheit haben mit unseren Mitmenschen zu reden.
Die Dialoge und Interaktion zwischen den handelnden Figuren ist der Kern dieses Spiels. Die meisten Gespräche erfordern eine Antwort innerhalb eines Zeitrahmens, sonst schweigt Lee. Die besten Momente sind die, in denen wir harte Entscheidungen treffen müssen. Härter als in jedem anderen Spiel, das ich bisher gespielt habe. Telltale schafft es, diese Situationen perfekt zu inszenieren. Sie tauchen immer wieder auf, ohne sich zu wiederholen. Für Staffel 2 wird man viel Brainstorming brauchen, um sich frische Szenarien zu überlegen.
The Walking Dead ist ganz klar der heißeste Anwärter auf das Spiel des Jahres, aber das heißt nicht, dass es frei von Kritikpunkten ist. Das Fehlen richtiger Gameplay Elemente sollte bei einem Spiel dieser Art natürlich kein Thema sein. Einige Stellen hätten trotzdem anspruchsvoller sein können und hätten sogar zu einer etwas längeren Spielzeit beigetragen. Ganz klar, Telltale wollte, dass man ohne Frust durch die Geschichte kommt und das geht sogar soweit, dass ein Objekt, das man zur Lösung eines "Rätsels" braucht extra stark in Szene gesetzt wird.
Es wäre z.B. möglich zusätzliche Optionen einzubauen, die der Spieler nach dem ersten Durchlauf freischalten kann. Angenommen es würde eine Instant Death Option geben: sobald man eine falsche Entscheidung trifft oder zu spät reagiert, stirbt der eigene Held und das Spiel beginnt von vorne (oder zumindest die Episode). Auch der Schwierigkeitsgrad für die kleinen Rätsel könnte anpassbar sein. Das Nichtvorhandensein solcher Optionen wird natürlich nicht als Fehler angerechnet.
Technisch hat das Spiel auch seine Schwierigkeiten. Okay, welches Spiel hat das nicht? Da The Walking Dead aber selbst für Adventure-Verhältnisse sehr geradlinig ist, hätten viele Bugs ausradiert werden können. Animationen wirken oft etwas steif, der Wechsel zwischen Szenen dauert unnötig lange und zuweilen dauert der Bildwechsel auch länger als geplant. Manchmal ist die Kamera etwas eigenwillig und zeigt das Geschehen aus 500 Meter Entfernung von unten. In solchen Momenten bleibt nichts anderes übrig als das Spiel neuzuladen. Zum Glück wird das Spiel quasi permanent auto-gespeichert.
Der Zeitdruck zwischen den Episoden scheint der Grund dafür zu sein, dass diese mit zunehmender Zahl unsauberer programmiert wurden. Hier wäre es wohl besser gewesen, zum Release der ersten Episode bereits die ganze Staffel fertig zu haben.
Die Quick Time Events sind meistens klassisch gehalten. Drücke Knopf 1 um Event 1 zu erreichen oder drücke Knopf 1 so schnell wie möglich um die Oberhand zu gewinnen. Bewege den Cursor schnell an die richtige Stelle und drücke wiederum Knopf 1 um das Objekt aufzuheben. Dieses Kontrollschema ist keineswegs schlecht, passt in den meisten Situationen, ist aber durchaus verbesserungswürdig.
Eine der großen Stärken von Heavy Rain sind die nachvollziehbaren Bewegungsabläufe und dass die Befehle auf dem Bildschirm immer dem Geschehen folgen. Nehmen wir als Beispiel eine Kampfsszene: Unser Gegner hebt den rechten Arm zum Angriff, wir müssen Knopf 1 drücken um ihn aufzuhalten. Der Befehl, welche Taste wir folgen müssen folgt dabei dem Arm des Angreifers, damit wir nie den Blick vom Geschehen abwenden müssen. Ein anderes Beispiel sind Szenen in der eine Figur offensichtlich leidet. Heavy Rain gelingt es hier besser, das Leiden der Figur an den Spieler zu vermitteln.
Trotz dieser Vergleiche hat auch das die Steuerung bei The Walking Dead ihre Vorteile, vor allem wenn es darum geht, die Waffe auf jemanden zu richten, wobei der Cursor sozusagen zum Fadenkreuz wird (nicht bildlich aber praktisch).
Wie schon gesagt, die schweren Entscheidungen bilden den Kern des Spieles und die wichtigsten spielen auch in späteren Episoden noch eine Rolle. Mal beeinflussen sie das Verhältnis der Charaktere, mal führen sie sogar in ganz neue Situationen. So schön das auch klingt, ist der eigentlich Plot kaum beeinflussbar. Wie bei den meisten Spielen die große Entscheidungen "vorgaukeln" läuft am Ende doch wieder alles zusammen. Das klingt negativer als es eigentlich ist. Allein um eine weitere Staffel zu ermöglichen, sollte diese eine Fortsetzung der ersten sein, ist es nötig bestimmte Handlungsverläufe festzulegen.
Nichtsdestotrotz fühlte ich mich gerade in den letzten Episoden oft hilflos und war nicht mit allen Entscheidungen der Spieldesigner ganz einverstanden. Manche Situationen hätte man sicher besser lösen können, vor allem dann wenn es um das Ableben einiger Charaktere geht.
Sagen wir es so: manchmal habe ich das Gefühl, das Spiel zeigt Grausamkeit nur der Grausamkeit wegen und nicht um die Geschichte voranzutreiben oder Charaktere auszubauen. Um diese Review spoilerfrei zu halten kann ich auf viele Punkte in der Story leider nicht eingehen, auch wenn sie Auswirkungen auf mein Fazit haben werden. Im bald folgenden TWD Podcast werden wir diese jedoch ausführlich diskutieren.
Fazit: The Walking Dead Staffel 1 legt die Latte für Storytelling und Charaktere in Spielen extrem hoch. Noch nie musste ich so harte Entscheidungen treffen und selten habe so sehr mit gelitten. Was Telltale hier abgeliefert hat ist unglaublich dramatisch, emotional und zugleich furcheinflössend. Das Adventure The Walking Dead ist die perfekte Ergänzung zum sowieso schon großartigen Universum. Hoffen wir, dass Telltale für Staffel 2 die Zeit und das Budget bekommt um auch die letzten Fehler auszuradieren.
Story: Sehr gut Gameplay: Ausreichend
FAZIT: GUT
(wenig Spiel, dafür umso mehr Story)
nur Gut? ich hatte ja ein bisschen mehr erwartet. ich würde auch sagen dass verbesserungsvorschläge nichts in einer review zu suchen haben aber müsst ihr selbst wissen
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