von Tony Menzel
Plattform: PS3, Xbox360, PC
Release: 2013
Entwickler: Crystal Dynamics
Publisher: Square Enix
Das Reboot der berühmten Tomb Raider Reihe hat eine lange Entwicklungszeit, voller Wendungen, hinter sich. Aus
Survival Horror wurde Open World, aus Open World wurden "Exploration Areas". Dass ich meine Zweifel an dieser Neuausrichtung hatte, habe ich mehr als einmal zum Ausdruck gebracht (u.a.
hier) und bin nun froh, sagen zu können, dass ich doch viel positiver aus dem Spiel gegangen bin, als erwartet. Der größte Fehler bei Tomb Raider, liegt wohl in seiner Vermarktung. Nach der Enttäuschung namens Exploration Areas, folgten Infos, wie Laras Unfähigkeiten zu Schwimmen, die sie gegen weite Sprünge an Hubschrauber und riesige Explosionen austauschte. Die Trailer konzentrierten sich immer mehr auf Uncharted Szenen und Gewaltexzesse, weil man das Spiel genau so verkaufen wollte. Das neue Tomb Raider ist nicht umsonst der erste Serienableger mit einer ab 18 Freigabe!
Spaß am Leid
Hätte man den Fokus im Voraus doch lieber auf die große Insel gelegt, auf der das gesamte Spiel stattfindet. Dort stranden Lara und ihre Begleiter als sie, auf der Suche nach der Insel Yamatai, in einen Sturm geraten und Schiffsbruch erleiden. Die Überlebenden des Unglücks versuchen daraufhin die Insel zu verlassen, was ihnen nicht nur durch einen gefährlichen Kult, sondern auch eine mysteriöse Macht erschwert wird, die, ganz im LOST-Stil, mit einem Sturm selbst Flugzeuge vom Himmel holen kann. Die 21-jährige Lara soll durch Schmerz und Angst zur echten Lara Croft heranwachsen. Tomb Raider geizt hier nicht mit expliziter Gewaltdarstellung, erst gegen Lara, später gegen ihre Widersacher. Jede ach-so-schlimme Wunde ist allerdings sofort wieder vergessen, wenn die junge Abenteurerin, wie ein junges Reh, quickfidel durch die Gegend hüpft. Wozu dann überhaupt all der Schmerz? Naja, man kann dem Spiel immerhin zugute halten, dass am Anfang noch viele der, ursprünglich geplanten, Horrorelemente durchschimmern. Wir fühlen uns schwach und verletzlich, es ist dunkel und überall liegen Leichenteile. Schmerzhafte Momente werden von einem Ton begleitet, als würde gerade ein Nerv getroffen. Ihr wisst schon: als würde man mit dem Musikantenknochen an eine Türklinke stoßen. In einer der stärksten Szene müssen wir uns, auf dem Boden liegend, gegen mehrere Wölfe erwehren, die vorher erwartungsvoll im Gebüsch rascheln. Wer dann auch noch, wie ich, von den nächtlichen Wölfen in Dragons Dogma vorbelastet ist, weiß wovon ich rede.
Wie auch immer, diese Momente verfliegen bald, haben aber noch einige, seltene Auftritte im weiteren Spielverlauf. Eine andere Rechtfertigung für Laras Leiden fällt mir jedenfalls nicht ein, das Spiel wird mit jeder Verletzung nur unrealistischer, mal davon abgesehen, dass Auto Heal hier so unpassend ist, wie nie zuvor.
Unlogische Momente hat Tomb Raider leider immer wieder. Bei anderen Spielen würde mir das vermutlich nicht mal auffallen, aber hier scheinen die Entwickler einen gewissen Wert auf Realismus gelegt zu haben, der nicht immer funktionieren will. So läuft Lara in ihrem Hemdchen frierend durch Nacht und Nebel (und Regen) kommt aber nie auf die Idee, sich eine Jacke, von einem ihrer vielen Opfer, zu "leihen". Ein weiteres Kleidungsstück würde aber auch den Blick auf ihre Brüste versperren. Akzeptiert. Störend sind auch die ständigen Spritzer und Tropfen auf der Kamera, egal ob bei Regen oder Blut. In Ego-Shootern mag sowas ja Sinn machen, in einem 3rd Person Spiel, das fast komplett auf ein HUD verzichtet, ist das aber extrem kontraproduktiv. Fraglich ist auch, wozu man so viele Tiere jagen kann, die dann aber nichts Essbares hinterlassen. Okay, zugegeben, langsam wird es etwas pingelig.
Viel zum Entdecken, wenig zum Denken
Gehen wir also zurück zur größten Stärke des Reboots: die große offene Welt! Das Wort Exploration Areas hätte man sich sogar sparen können, wenn man bedenkt WIE offen die Insel eigentlich ist, mit Schnellreisesystem, Nebenaufgaben und starken Metroid-Elementen. Die riesigen Abschnitte sind oft durch kleine Kriechgänge und -tunnel verbunden. Wer sich wundert, warum Lara so oft durch irgendwelche Spalten klettern muss: das sind die Ladezeiten von Tomb Raider. Außerhalb davon verzichtet das Spiel nämlich fast gänzlich auf Ladezeiten. Nur dann und wann muss mal 3 Sekunden nachgeladen werden, was kaum ins Gewicht fällt. Während wir, kletternd und plündernd, die abwechslungsreichen Gegenden durchsuchen, stehen uns immer neue Waffen und Gerätschaften zur Verfügung, mit der wir Orte erreichen, an denen wir schon früher vorbei gelaufen sind. Das, in einigen frühen Reviews zitierte, Metroid Gefühl kommt leider trotzdem nicht auf, denn hinter überwundenen Hindernissen, verbirgt sich nie mehr, als irgendein Sammelgegenstand, Erfahrungspunkte, Achievements oder Material für die Waffen. Das zieht sich leider durch das ganze Spiel: Erkundungen machen zwar viel Spaß, werden aber nie angemessen belohnt. Nicht sehr motivierend wenn ihr mich fragt!
Außerdem sind hier und da die namensgebenden Grabstätten (also
Tombs) versteckt. Dort konzentriert sich der gesamte Rätselanteil von Tomb Raider. Allerdings sind die Gräber so klein und leicht zu lösen, dass ich in keinem mehr als 5 Minuten zubringen musste. Es ist, als würden Crystal Dynamics, die in den letzten drei Teilen sehr gute und umfangreiche Rätsel gemacht haben, den alten Spielern nun ins Gesicht lachen. Nimmt man alle Rätsel vom Reboot zusammen, bekommt man vielleicht gerade so den Umfang eines Rätsels der früheren Spiele. Sehr schade, vor allem weil es absolut keinen Grund für die Abwesenheit richtiger Gräber und Puzzle gibt. Genug Platz ist auf jeden Fall. Davon abgesehen, scheint man sehr stolz auf die Feuer-Animationen zu sein, denn fast alles in diesem Spiel lässt sich mit lodernden Flammen lösen. Wir denken zurück an FarCry 2.
Boom Raider
Der eigentliche Spielablauf besteht zum Großteil aus zwei Sachen: den Stick in den geradlinigen Story-Abschnitten nach vorne drücken und Schießereien gegen Horden von Gegnern. Die zahlreichen Kampfsituationen fühlen sich richtig gut an und profitieren von den gleichen Sachen wie die
Uncharted Reihe: Gegner sind ständig in Bewegung und zwingen den Spieler selbst, im sehr vertikalen Leveldesign mit z.T. zerstörbarer Umgebung, in Bewegung zu bleiben. Dazu kommt, dass Lara eine ziemlich gute Bogenschützin ist. Ja Leute, die Jahre des Bogens sind noch lange nicht vorbei. Fast 90% meiner Gegner mussten mit einem Pfeil im Kopf sterben, die restlichen durch Nahkampfangriffe. Beide Sachen helfen vor allem, wenn man versucht, die Gegner schleichend auszuschalten, wozu man stellenweise auch gezwungen ist. Ein gezielter Pfeil in den Kopf eines nichtsahnenden Gegners, fühlt sich sehr befriedigend an. Wurde man einmal entdeckt, wissen sofort alle, wie durch Zauberei, ganz genau wo man ist, bis man jeden einzelnen umgelegt hat. Die Steuerung im Kampf fühlt sich mit allen Waffen gut an. Durch Charakter- und Waffen-Upgrades mutiert die kleine Lara immer mehr zur Kampfmaschine Croft und lernt immer neue, brutale Finisher Moves. Das Nahkampfsystem ist recht simpel, profitiert aber von einem Ausweichbutton und anschließenden, getimten, Konterangriffen. In Deckung geht die Figur übrigens automatisch. Nur blind aus der Deckung schießen kann sie leider nicht.
Tomb Raider setzt den größten Fokus auf Atmosphäre und das auch erfolgreich. Die Grafik ist schön, vor allem für ein Spiel, das so offen ist. Immer wieder können wir weite Bereiche der Insel überblicken, aufs weite Meer hinausschauen oder im Schneegestöber auf einen Funkturm in der Ferne zusteuern. (Ich liebe Funktürme in der Ferne). Das Klettern, in Playstation Zeiten noch das Hauptelement von Tomb Raider, ist nun leider extrem simplifiziert. Alles ist farbig hervorgehoben, Sprünge werden meist vom Spiel ausgebessert und rückwärts von einer Wand springen, kann Lara auch nicht mehr. Weniger atmosphärisch sind die vielen Actionsequenzen, die fast 1:1 aus Uncharted stammen könnten. Ständig explodiert etwas hinter uns, immer wieder müssen wir vor Zerstörung und Flammenwänden wegrennen, um dann im richtigen Moment in Sicherheit zu springen. Lara hinterlässt eine einzigartige Spur der Zerstörung hinter sich, die Explosionen machen teilweise gar keinen Sinn. Etwas weniger davon, im Austausch für ein paar Rätsel, hätte nicht geschadet.
Die Nichtauserwählte
Wollt ihr auch noch etwas zur Story wissen? Zur Handlung und Charakteren hat wohl jeder seine eigene Meinung. Mehr Tiefgang als ihr früheres Ich hat die neue Lara schon, durch die versuchte Realitätsnähe entsteht aber eine Art Uncanny Valley der Glaubwürdigkeit. Als wäre sie ein Übermensch, sie weiß es nur nicht. Die Charakterentwicklung entspricht hier etwa der von FarCry 3: im ersten Moment klein und schwächlich, im nächsten ein Amok laufender Massenmörder. Noch viel blasser, als die Heldin, sind ihre Begleiter. Wer sind diese Leute? Wen interessiert's! Das Spiel ist immer darauf erpicht, uns von der Gruppe zu trennen, damit man auch bloß keine Sekunde mit anderen unterwegs ist. Lara wird eine Art GTA Figur, die am Anfang ihre Zweifel hat, dann nach einer Stunde, die Drecksarbeit für jeden erledigt. Um Spoiler zu vermeiden kann ich hier nicht auf konkrete Momente eingehen, aber es kommt durchaus häufiger vor, dass wir auf eine Mission geschickt werden, um dann nach einer Stunde Gesuche und Gekletter eine Zwischensequenz zu bekommen, die die letzten 60 Minuten komplett sinnlos erscheinen lassen. Wenn ihr einen dieser Momente erlebt habt, wisst ihr wovon ich rede. Die Story ist jedenfalls nicht die Stärke von Tomb Raider, aber was solls, sie erfüllt ihren Zweck, nämlich uns von Situation zu Situation zu führen. Ein kleines Lob an die Storyschreiber gibt es aber trotzdem: endlich ist mal nicht der Held der Auserwählte!
Multiplayer ohne Online Pass
Zum Abschluss noch kurz zum Multiplayer: der fühlt sich zwar überflüssig an, kann aber durchaus einige Zeit seinen Spaß machen. Hier treten die Überlebenden gegen die Inselbewohner an, mit den jeweiligen Waffen. Ein gut geübter Bogenschütze hat hier einige Vorteile. In meinen wenigen Proberunden konnte immer die Inselbewohner die meisten Punkte davontragen. Der Detailreichtum der Umgebungen, im Singleplayer noch eine große Stärke, wird hier fast schon zum Hindernis, wenn man versucht, einen klaren Überblick zu behalten. Schön sind auch gelegentliche Stürme und ähnliches. Das beste Argument für den Multiplayer: es gibt keinen Online Pass. Also probiert ihn einfach aus.
Fazit: Crystal Dynamics Tomb Raider Reboot spielt sich wie ein Uncharted Nachfolger mit einigen Verbesserungen, aber leider nicht wie ein Tomb Raider. Aber hey, ich mag Uncharted und selbst Naughty Dog könnte sich noch einiges abschauen, was offenes Leveldesign angeht. Wo Tomb Raider dagegen vom Vorbild lernen könnte, sind Story und Charaktere. Wer weiß, vielleicht schaut Amy Henning ja mal wieder bei Crystal Dynamics vorbei (spätestens für War of Nosgoth). Meine Kritikpunkte an Tomb Raider beziehen sich weniger auf die Sachen, die da sind, als mehr auf die, die nicht da sind. Warum gibt es kaum Rätsel? Warum hat Lara ihr Seepferdchen Abzeichen nicht gemacht? Ich erwarte Verbesserungen in einem Sequel, denn das will ich unbedingt! Zum Schluss noch die allergrößte Stärke vom neuen Tomb Raider: nach Abschluss der Story dürft ihr auf die Insel zurück und euch austoben, alles Sammeln usw. Dafür hat sich das Durchspielen gelohnt.